In Böen 8

Heute kommen wir erst Mittags an Bord. Das Wetter ist schön, es gibt ein paar Wolken und der Wind bläst mit 4 -5 Windstärken aus Südost. Erstaunlich ist nur, dass scheinbar kaum jemand den Hafen verlassen hat. Als wir verkünden, dass wir noch nach Wismar wollen, schaut man uns ungläubig an: „Habt Ihr denn keinen Wetterbericht gehört? Es soll Gewitter mit Sturmböen geben!“ Nein, das haben wir in der Tat nicht gehört. Was nun? Wir beschließen trotzdem abzulegen. In Travemünde können wir die Reise immer noch abbrechen, aber bei dem schönen Wetter wollen wir nicht im Hafen bleiben.

Unterwegs behalte ich das Barometer im Auge. Es steht bei 1015 hPa und bewegt sich kein bißchen. Über Handy rufe ich die Karte mit den Blitzen bei Siemens ab. Nur bei Basel ist ein einziger Blitz sonst ist von Gewitter keine Spur. Stündlich kontrolliere ich Barometer und Blitzkarte. Nach einer Stunde sind wir draußen vor Travemünde. Der Wind nimmt ab auf 2 Windstärken und es schieben sich Wolken vor die Sonne, aber nach wie vor gibt es keine Anzeichen für ein Gewitter. Wir reffen aus.

Zwei weitere Stunden später haben wir Boltenhagen querab. Der Wind hat noch weiter abgeflaut und kommt jetzt aus Süden. Laut Wetterbericht soll er mit dem Durchgang der Front auf Südwest drehen. Es gibt einige wenige Regentropfen, aber noch halten wir durch. Es ist schön hier draußen und sehr einsam für einen Samstag Nachmittag.

Plötzlich dreht der Wind auf Ostsüdost und nimmt ein klein wenig zu. Die Sonne blinkt gelegentlich wieder durch die Wolken.  Leider kommt er nun genau von vorn. Wir werfen den Motor an, zum Kreuzen ist es uns zu spät. Aber warum dreht der Wind nun wieder zurück nachdem er schon aus Süd kam? Er sollte doch auf Südwest drehen! Wir brauchen ein paar Minuten, um zu begreifen. Aber dann ist uns plötzlich alles vollkommen klar: Die Wolkenbank hinter uns im Südwesten ist nicht nur eine Front – das muss ein Gewitter sein. Die Luft steigt dort auf und deshalb weht uns der Wind nun entgegen auf die Wolken zu. Nichts wie weg hier!

Wir bergen das Groß und geben Vollgas. Als wir etwas über eine Stunde später vor Timmendorf auf Pöel sind, steht die Wolkenbank über Boltenhagen. Blitze sind immer noch keine zu erkennen, auf der Blitzkarte sind die nächsten Blitze irgendwo bei Bremen. Das ist weit genug weg. Der Timmendorfer Hafen ist voll und bei Westwind wahrlich kein Vergnügen. Wir beschließen weiter zu fahren. Sollten in der Front schwere Böen stecken, möchte ich auch nicht in dem Moment einen Anleger fahren. Das wettern wir lieber hier draußen ab.

Wir ziehen uns regenfest an und beobachten interessiert dieses Naturschauspiel. Wieviel Wind mag da wohl drin stecken? So schlimm sieht es gar nicht aus. Wir tippen auf 5 -6 Windstärken. Aus Wismar läuft ein Frachter aus und kommt uns entgegen. Wir bleiben den Fahrwasser fern und laufen zwischen der Steilküste von Pöel und dem Fahrwasser, das hier einen Schwenk nach Westen macht und viel Platz lässt. Nun sehen wir den Regen kommen, wie ein dichter Vorhang zieht er von Südwesten auf uns zu. Wie heißt noch der Merksatz:

Kommt der Regen vor dem Wind, berg die Segel ganz geschwind.

Nun, unsere sind schon unten. Es fängt an zu schütten und dann kommt schlagartig der Wind mit Böen von vermutlich 8 Beaufort. Lorrikeet legt sich vor Topp und Takel kräftig über. Klaus nimmt Gas weg und ändert den Kurs, damit wir gegen den Wind laufen und nicht so viel Lage schieben. Uns klingen noch die Worte des Voreigners im Ohr, dass der Motor bei viel Lage nicht ausreichend Kühlwasser bekommt. Das wollen wir nicht riskieren. Sehen tun wir nichts mehr, aber außer uns war kein Segler mehr draußen und der Frachter sollte im Fahrwasser sein. Bis dahin haben wir noch Platz.

Plötzlich lichtet sich die Regenwand ein wenig und wir trauen unsern Augen nicht. Der Frachter hält direkt auf uns zu! Ich springe ans Funkgerät, schütte dabei die Regenlachen von meiner Jacke über das Logbuch und rufe Wismar Traffic an. Wenn wir jetzt AIS hätten könnte ich sehen, wie der Frachter heißt und ihn direkt anrufen. Da ich das nicht weiß, wähle ich den Umweg über die Verkehrszentrale. Von dort rufen sie nun den Frachter. Eigentlich müsste der uns auf dem Radar sehen, aber warum hält er dann so auf uns zu?

Der Frachter gibt zurück, auf welcher Seite er vorbei fährt und dass er uns gesehen hat. Nun sollte alles klar gehen, aber Klaus fängt an von draußen zu rufen. Ich kann das unter Deck nicht verstehen und begreife auch nicht, was er will. Also klettere ich wieder nach oben.  Er hat noch einen Paddler entdeckt, der direkt vor dem Bug des Frachters um sein Leben paddelt. Um Himmels willen! Ich springe wieder ans Funkgerät, vergesse sämtliche Funkdisziplin und versuche nur so schnell wie möglich dem Frachter klar zu machen, dass er seine Maschine auskuppeln soll. Ob er’s begriffen hat weiß ich nicht. Der Paddler ist glücklicherweise davon gekommen und spannt nun seinen Regenschirm als Segel auf, um erst einaml wieder Luft zu holen. Gerade nochmal gut gegangen! Was lernen wir daraus? Bei Schwerwetter ist das zweite Handset vom Funkgerät im Cockpit notwendig. Der Weg in die Kajüte an den Kartentisch ist in solchen Momenten zu lang.

Eine Stunde später sind wir in Wismar. Der Wind hat wieder abgeflaut. Auf der Rückseite der Wolkenbank konnten wir vereinzelt Blitze zwischen den Wolken beobachten. Ich schalte um auf DP07. Dort läuft gerade die große Konferenz. Jemand im Greifswalder Bodden fragt, wann denn nun endlich der Südwestwind kommt. Er hat die Nase voll von der Flaute. Das kann ich so nicht stehen lassen. Ich greife noch einmal zum Funkgerät und berichte von unserem Erlebnis.

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