Hafentag in Trzebiez
Wir stellen heute morgen wieder den Wecker, um den Bus nach Stettin rechtzeitig zu erreichen. So oft fährt der nämlich nicht. Braucht man nun vorher eine Fahrkarte oder kauft man die im Bus? Wir lassen es darauf ankommen, aber der Busfahrer will keine Fahrkarten verkaufen und winkt uns durch. Hmmh?! Das Unwahrscheinliche passiert: Es gibt tatsächlich eine Schaffnerin, die sich durch den schwankenden vollgestopften Bus quält, um uns Fahrkarten zu verkaufen. Wir sagen, dass wir nach Stettin wollen. Sie erklärt uns, dass der Bus nach Police fährt. Kurz vor der Endhaltestelle fangen alle um uns herum an uns wortreich auf polnisch zu erklären, wo der Bus nach Stettin abfährt. Eine junge Frau erbarmt sich unser und sagt, dass sie auch nach Stettin will und wie ihr einfach folgen sollen. Sie sorgt dafür, dass wir vorher die richtigen Fahrkarten kaufen. Der Bus nach Stettin fährt alle paar Minuten im Gegensatz zu dem Bus nach Trzebiez. Vorsichtshalber fotografiere ich den Fahrplan.
Wo wir in Stettin hinwollen? Das wissen wir auch nicht so genau. Wir haben keine Ahnung und wollen halt mal Stettin sehen. Vielleicht die Altstadt oder das Zentrum? Sie findet das seltsam. Sie will auch ins Zentrum. Wir sollen einfach mit ihr aussteigen. Wir fragen sie, was sie uns empfiehlt anzusehen. Sie ist ratlos und empfiehlt das Hafentor. Heute morgen haben wir uns noch schnell einen Stadtführer auf den Kindle geladen. Ganz hilflos sind wir also nicht, aber einen Stadtplan bräuchten wir noch. Sie fängt an zu telefonieren. Wir verstehen kein Wort. Als wir aussteigen, stellt sich heraus, dass sie bereits ihren Bruder und ihren Cousin angerufen hat, um die schwierige Frage zu klären, was man sich in Stettin ansehen sollte. Sie schlägt ein Museum vor. Dafür ist mir eigentlich das Wetter zu gut. Ob wir erst einmal einen Überblick über die Stadt wollen? Ja gern! Wir hatten gedacht, sie würde uns in Stettin an der Bushaltestelle unserem Schicksal überlassen, aber weit gefehlt. Sie fühlt sich für uns verantwortlich und freut sich offenbar ganz ehrlich, einmal ihre Englisch-Kenntnisse anzuwenden. Statt dessen besuchen wir nun zusammen im 22. Stock des Marine-Zentrums ein Café mit phantastischem Rundumblick über die Stadt. Von oben wird schnell klar, wo die Altstadt ist, wo die Oder ist und in welche Richtung wir gehen sollen. Bei der Bedienung erkundigen wir uns nach einzelnen Gebäuden. Unsere spontane Stadtführerin laden wir erst einmal zum Tee ein. Sie kommt aus Trzebiez, heißt Anja und hat gerade etwas Zeit, da sie wegen einer Handverletzung krank geschrieben ist. Sie ist kein Fan von Stettin. Sie ist lieber auf dem Land und findet andere polnische Städte auch viel sehenswerter, z.B. Warschau, Posen, Danzig oder Krakau. Nach Stettin fährt sie nur zum Einkaufen oder aus geschäftlichen Gründen. Ihr Cousin meinte am Telefon, sie solle uns zum Shoppen schicken. Nein, vielen Dank. So viel Platz ist an Bord nun auch wieder nicht. Schließlich gehen wir einfach los. Ihre hochhackigen Schuhe sind für derartige Unternehmungen vollkommen ungeeignet und sie quält sich etwas, ist aber viel zu glücklich mit uns, als dass sie das stören könnte. Sie fragt sich einfach durch. In einem kleinen Andenkenladen kommen wir zu unserem Stadtplan mit eingezeichneten Sehenswürdigkeiten. Anja liefert uns schließlich an der Kasse des Schlosses der pommerschen Herzöge ab. Hier verabschieden wir uns voneinander. Wir kaufen Eintrittskarten für alle Ausstellungen im Schloss ohne die geringste Ahnung was uns erwartet. Aber erst einmal setzen wir uns auf eine Bank und befragen den Reiseführer, wo wir überhaupt gelandet sind.
Die Ausstellungen sind erfreulich kurz und knapp: Eine Fotoausstellung mit Porträts, eine Ausstellung mit alten Sonnenuhren und zum Thema Zeit und Endlichkeit in der Kunst und schließlich noch die Zinnsärge aus der Krypta im Keller zusammen mit etwas Schlossgeschichte. Der Rest des Schlosses ist nicht zu besichtigen. Hier sind verschiedenste Institutionen untergebracht, u.a. auch eine Oper und ein Kino.

Das Stettiner Haff heißt auf polnischen Plänen Oder-Haff oder Großes Haff, so wie auch auf dieser historischen Karte
Anschließend bummeln wir noch ein wenig durch die wiederaufgebaute Altstadt und fahren in der Jakobikirche mit dem Fahrstuhl auf den Turm hinauf, der durch seine großen Fenster einen weiteren großartigen Blick über die Stadt bietet. Die Kirche selbst ist aber auch einen Besuch wert. In ihrem schlichten Stil erinnert sie mich an die hannoversche Marktkirche. Im zweiten Weltkrieg war die Jakobikirche stark zerstört. Die Glasfenster sind vermutlich alle neu. Dies erklärt auch die aktuelleren Themen, die dort dargestellt sind: Sie reichen von den Verbrechen des zweiten Weltkrieges bis zu den Streiks der Werftarbeiter in den 70er und 80er Jahren. Nur der polnische Papst hat noch kein Glasfenster, dafür jedoch ein großes Gemälde.
- Glasfenster in der Jakobi-Kirche
- Glasfenster in der Jakobi-Kirche
- Glasfenster in der Jakobi-Kirche
- Glasfenster in der Jakobi-Kirche
Dann machen wir uns an die Rückreise, die vollkommen reibungslos verläuft. Im Hafen ist nun ein anderer Hafenmeister, der jetzt auch Hafengeld von uns möchte. Wir würden gern Wäsche waschen, eine Waschmaschine habe ich im Keller des Hafengebäudes bereits gefunden, aber er rät davon ab. Dort waschen sie nur Arbeitskleidung. Auch mein Wunsch nach einem WLAN-Zugang schlägt fehl. Das WLAN sei kaputt sagt er mir. Ansonsten ist er jedoch sehr nett und findet unser Schiff sehr schön.
Wir machen uns mit dem Notebook bewaffnet auf in die „Sailors Bar“, die mit einem WLAN Zugang wirbt. Tatsächlich haben wir dort einen schnellen Zugang und sitzen nett bei irischer Folklore mit polnischen Texten und polnischem Bier. Als es dämmert, stechen jedoch die Mücken schneller zu als ich tippen kann. Wir geben auf.